Wirkungsvolle Jugendhilfe Hamburg

Mittwoch, 31. August 2011

Stellungnahme der Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung Hamburg zu Senatsideen im HzE Bereich




                                                                                                                      




  
 Stellungnahme zum Konzept-Papier „Hilfen zur Erziehung“ der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI)  vom 24.8.2011 sowie der Vorlage zur Sitzung der SPD-Staatssekretäre am 13.5.2011

Wie wir der Presse entnehmen konnten,  erwogen die Staatssekretäre der SPD-geführten Bundesländer eine einschneidende Veränderung des Jugendhilfe-Systems, indem sie den individuellen Rechtsanspruch auf „Hilfe zur Erziehung“ (wie er im SGB VIII festgelegt ist) durch eine Gewährleistungsverpflichtung des Staates für ein bedarfsgerechtes Hilfsangebot bei Erziehungsproblemen ersetzen wollten.  Dieser Plan löste eine öffentliche Diskussion aus, die möglicherweise in das Konzept-Papier der BASFI eingeflossen ist, in dem nun diese Absicht ausdrücklich verneint wird.
Hintergrund der beiden Papiere ist die ständige Steigerung der Ausgaben für Hilfen zur Erziehung. Doch weder die Analyse der Situation noch die vorgeschlagenen Konsequenzen erscheinen uns fachlich hinreichend begründet:
  • An keiner Stelle der Papiere wird die Möglichkeit erwogen, dass die Kostensteigerung mit einer Zunahme der Problemlagen in der Gesellschaft zu tun haben könnte. Dieser Zusammenhang lässt sich in der Tat nicht empirisch beweisen, doch gibt es zumindest so viele Hinweise darauf, dass eine seriöse Argumentation diese Möglichkeit berücksichtigen und diskutieren müsste.
  • In dem Papier der Staatssekretäre wird behauptet, dass Sozialpädagogische Familienhilfe „in sehr vielen Fällen ins Leere läuft“. Die Formulierung „Es gibt zahlreiche fachliche Hinweise …“ verweist darauf, dass für diese starke These keinerlei belastbare empirische Daten vorliegen, sie aber dennoch zur Grundlage weitreichender Folgerungen gemacht wird. Dies gilt ebenso für die Behauptung, die zusätzlichen Mittel hätten nicht zu einer Verbesserung der Situation beigetragen. Auch dies ist nicht belegbar, knüpft aber an verbreitete „Stimmungen“ an.
  • Möglicherweise weil diese Argumentation in der öffentlichen Diskussion auf Kritik stieß, finden sich in dem Konzept der BASFI überhaupt keine Begründungen mehr für die vorgegebenen Ziele und die vorgeschlagenen Maßnahmen. Der Verzicht auf eine fachliche Argumentation legt aber umso mehr den Verdacht nahe, dass nicht die qualitative Verbesserung des Jugendhilfesystems, sondern die Kostenreduktion der eigentliche Motor der Umstrukturierung ist.
  • Favorisiert werden in beiden Papieren sozialräumliche Alternativen, da sie (so die Staatssekretäre) kostengünstiger und effektiver seien. Richtig ist, dass sich sozialräumliche Angebote, auf die kein individueller Rechtsanspruch besteht, in ihrem Ausmaß besser politisch steuern  lassen. Insofern sind sie „kostengünstiger“  in dem Sinne, dass die Ausgaben des Staates begrenzt werden können. Ihre größere Effektivität ist nicht belegbar, wird in den Vorschlägen der BASFI aber stillschweigend vorausgesetzt.
    Hier soll daran erinnert werden, dass sich bei der Einführung der Sozialpädagogischen Familienhilfe die gleichen Hoffnungen mit dieser damals neuen Interventionsform verbanden: Auch damals wurde die Überlegenheit gegenüber den herkömmlichen Arbeitsformen behauptet, so wie heute auf Sozialraum-Orientierung gesetzt wird, die die Einzelfall-Hilfe „von der Regel zur Ausnahme“  (Staatssekretäre) machen soll. Dieses Muster, von neuen Angebotsformen jeweils Wunderdinge zu erwarten, halten wir aus fachlicher Sicht für unangemessen, da es dazu führt, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
  • Diese Tendenz findet sich am deutlichsten in dem Abschnitt 3.1 des BASFI-Papiers: Hier wird verlangt, dass Hilfebedarf „grundsätzlich und vorrangig“ durch sozialräumliche Angebote oder Angebote der Familienförderung und Elternbildung zu erbringen sind. Förmliche Hilfen zur Erziehung werden nur gewährt, wenn sozialräumliche Angebote voraussichtlich nicht zum Erfolg führen oder schon gescheitert sind.  Solche Hilfen sollen „grundsätzlich nicht als Einzelmaßnahmen innerhalb der Familienwohnung stattfinden“ und möglichst als Gruppenangebote realisiert werden. Die somit verfügte weitgehende Abschaffung der Sozialpädagogischen Familienhilfe als Interventionsform ist nicht das Ergebnis empirischer Forschung,  die Sichtung von Wirkungsanalysen wird (unter Punkt 6) vielmehr erst als Zukunftsaufgabe der überregionalen Zusammenarbeit  beschrieben. Somit wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht und ohne ausreichende fachliche Fundierung eine abrupte Umsteuerung des Jugendhilfesystems vorgenommen.

Auch aus unserer Sicht ist die Weiterentwicklung des Jugendhilfe-Systems wünschenswert. Institutionelle Erziehungsberatung als Teil der Jugendhilfe beteiligt sich seit langem an diesem ständigen Veränderungsprozess, der durch fachliche Überlegungen und Erfahrungen bestimmt wird. Auch wir sehen in der Sozialraum-Orientierung oder der stärkeren Verzahnung von Jugendhilfe und Schule sinnvolle Entwicklungslinien, die es auszubauen gilt. Es handelt sich dabei aber um ergänzende Angebote zu den individuellen familiären Hilfen, die diese deswegen nicht „zur Ausnahme“ machen werden. Zwar mag es Fälle geben, in denen die gewählte Familienhilfe nicht die gewünschten Erfolge erzielt. Statt aber das gesamte System der Hilfen in Frage zu stellen, käme es u. E. darauf an, die Qualität der Hilfeplanung und –evaluation weiter zu verbessern, also die Jugendämter personell und fachlich in die Lage zu versetzen, diese Aufgaben gut wahrzunehmen. Dies wird erfreulicherweise auch im BASFI-Konzept so gesehen, die in der Presse berichtete bessere Bezahlung der ASD-KollegInnen ist dabei allerdings nur ein erster Baustein.
Auch die Annahme, dass Gruppenangebote regelhaft die angemessene Angebotsform sind, erscheint uns fachlich durch nichts begründet (Zum Vergleich: Im Gesundheitswesen käme niemand auf die Idee, die generelle Ersetzung der Einzel-Psychotherapie durch Gruppen-Therapie zu fordern!). Vor allem aber verlangt die fachgerechte Umsetzung von Konzepten wie der „Multi-Familien-Therapie“ den Einsatz von derartig umfangreichen Ressourcen, dass sich die Erwartung, dies sei eine billigere Alternative, bald als Illusion erweisen dürfte.
Die undifferenzierte Ablehnung bewährter Hilfeformen (wie SPFH) und überzogene Hoffnungen, was die Möglichkeiten alternativer Hilfeformen angeht, gehen u. E. in dem BASFI-Konzept eine seltsame Liaison ein.
Insgesamt hätten wir uns statt des radikalen Umschwenkens einen prozesshaften und fachlich begründeten Veränderungsprozess gewünscht, der auch die Erfahrungen der betroffenen KollegInnen stärker berücksichtigt. Solange zudem die anfangs diskutierte Abschaffung des individuellen Rechtsanspruches auf Hilfen zur Erziehung nicht endgültig ausgeschlossen ist (laut BASFI-Konzept stehen „Strukturelle und rechtliche Fragestellungen“ weiter auf der Agenda), steht weiter die Gefahr im Raum, dass die Politik ihre Jugendhilfeplanung mehr an den Zwängen der Haushaltskonsolidierung ausrichtet als an fachlichen Gesichtspunkten und den Interessen der betroffenen Familien. Eine Gefahr, die umso größer ist, als diese Familien keine starke Lobby haben und in der öffentlichen Wahrnehmung, an der sich Politik orientieren muss, daher eine untergeordnete Rolle spielen. 
Selbst wenn sich auf diesem Wege Spareffekte erzielen ließen, wäre deren Nutzen höchst fraglich: Eine fachlich fehlgeleitete Familienpolitik wird mittel- und langfristig mit enormen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgekosten rechnen müssen.

Der LAG-Vorstand
Hamburg, den 30.8.2011











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