Aspekt 2:
… von der Lüge einer sozialräumlichen Verbesserung
In diesem Abschnitt geht es um eine Wiedergabe der Organisation der Jugendhilfe im Hamburg. Vorab sei deutlich hervorgehoben, dass jede fachliche Ausrichtung in Hamburg durch die Fachbehörde (BASFI – Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration) im Sinne einer Kontrollbehörde etabliert wurde. Auch muss bei allen Darstellungen immer daran gedacht werden, dass die Jugendhilfe durch das Controlling bereits in den Anfängen falsche Zahlen als Bezugsgrundlage vorgegeben hat. So krankt jeder Haushalt bereits an der Tatsache, dass er nie einen Bedarf widerspiegelte. Dieser war und ist um ein Vielfaches höher als von den Kämmerern dargestellt. Die Haushaltsansätze wurden immer an den Vorjahren orientiert. Teilweise wurden Zahlen aus zwei und drei zurückliegenden Jahren als Ausgangslage deklariert. Damit waren Nachtragshaushalte unausweichlich nötig und das wusste man bereits am 01.01. einer Periode!
Die fatale Entwicklung der letzten 10 Jahre in Hamburg war bereits Gegenstand zahlreicher verwaltungsrechtlicher Auseinandersetzungen. Eine kritische Analyse der im Prozess der Modernisierung öffentlicher Steuerung der Jugendhilfe implementierten Modelle erweist deren rein sparpolitische Zwecksetzung. Durch die Einführung eines weiteren Steuerungstools, die sog. „Output-orientierte Steuerung“, verweist zunächst auf deren rein sparpolitische Ausrichtung. Ihre Zweckbestimmungen und Leistungen erschöpfen sich in der Ökonomisierung der Jugendhilfeleistungen und in der Entlastung der kommunalen Haushalte. Die „Output-orientierte Steuerung“, gesetzliche Neuregelung der Entgeltordnung im Bereich der Erziehungshilfen und Einführung sozialräumlicher Budgets stellen im Gesamtprozess der Modernisierung öffentlicher Steuerung der Jugendhilfe aneinander anknüpfende und aneinander aufbauende Modelle kommunaler Sparpolitik dar: Sie knüpfen im Zweck der Entlastung der kommunalen Haushalte durch Einschränkung von Jugendhilfeleistungen aneinander an. Sie bauen aufeinander auf, indem sie bundesgesetzliche, sozialpädagogisch-konzeptionelle oder organisationsbedingte Hindernisse beim Leistungsabbau, die sich einem Modell noch jeweils stellten, im nächsten Modell zu überwinden suchen.
Aufgrund seiner bundesrechtlichen Verankerung als Rechtsanspruch der HilfeadressatInnen hatte sich der Bereich der Erziehungshilfen bis dahin einer an den kommunalen Konsolidierungsbedürfnissen gemessenen ausreichenden Einsparung noch entzogen. Die Einführung von Sozialraumbudgets (hier u.a. SAE) setzte wiederum an den Erziehungshilfen an. Mit ihr wurden Finanzierungsrisiken sowie die Umsetzung des Abbaus von Jugendhilfeleistungen auf die Träger der freien Jugendhilfe verlagert. Hier ein Beispiel: Die Einrichtung der sogenannten „Sozialräumlichen Angebotsentwicklung – SAE“ wurde zu 100% finanziert aus den Mitteln der HzE (Hilfen zur Erziehung). Zeitlich folgten die Ausschreibungen der gerade gescheiterten, selbstverwalteten Sozialraumbudgets. Als neue Errungenschaft angepriesen, da die Bezirke die sozialen Brennpunkte selbst definieren konnten, sollten sich Träger der offenen Jugendhilfe und Träger der Hilfen zur Erziehung einträchtig zur Kooperation aufschwingen und in der Folge mit Kennzahlen festgezurrte Ergebnisse vorbringen. Die entscheidende Kennziffer in diesem Zusammenhang war und ist die der „vermiedenen Einzelfälle“. Hatte man also erfolgreich ein Projekt ergattert und jede Gemeinkost zu Gunsten von Personalkost geopfert, so drehte sich in der folgenden Diskussion mit dem Jugendamt alles nur noch um die für die nächste Periode zur Verfügung stehenden Mittel. Erfolg wurde gemessen in Form einer Kennziffer für – durch das Jugendamt zugewiesene Fälle – „vermiedene Einzelfälle“.[1]
Damit hatte die öffentliche Verwaltung eine Übertragung des zuwendungsfinanzierten, offenen Jugendhilfebereiches auf die Einzelfallhilfen etabliert. Genau genommen ein Diktat über die Vereinbarungen der Fachleistungsstunde hinweg! Dieses war allerdings lediglich die Vorstufe. Mit Einführung sogenannter „Neuer Hilfen“ sollte nun zunächst so getan werden, als käme man der Ausrichtung an der Basis nach. In den Ausschreibungen sollten Projekte explizit so verankert sein, dass sie einer vorherigen Bedarfsanalyse in den Sozialräumen Rechnung tragen, in dem „Partizipation“ und „Niedrigschwelligkeit“ die offiziellen Indikatoren darstellen sollten. Im Weiteren ging es dann soweit, dass genauso Gruppenarbeiten als auch beraterische Tätigkeiten neben den „intensiveren“ Einzelfällen gewährleistet werden soll.
Jüngstes Beispiel war die Ausschreibung des Jugendamtes Hamburg-Bergedorf, in dem für € 115.000 ein pädagogischer Mittagstisch, Gruppenangebote für Schulverweigerer, offene Spiel- und Beratungsangebote und 15 laufende Einzelfallhilfen (zuweisbar) gearbeitet werden. Nachfolgendes Zahlenbeispiel soll deutlich machen um welche Relationen es hier geht: 1 SPFH = 5 FLS ^ € 850,- mtl. Da natürlich jeder sofort ausrechnen kann, dass 75 FLS/Woche den gesamten Rahmen von 2 Fachkräften ausschöpfen und keine Möglichkeiten für andere Tätigkeiten zulassen. So wird klar, dass die Vorgabe von 5 FLS nicht mehr haltbar ist. Also gibt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe keinen Zeitrahmen vor, sondern legt dieses vielmehr jetzt in das Ermessen des Freien Trägers.
Eine weitere nette Spielform sind jetzt die Kennziffern. Denn hinterlegt man Kennziffern, so will man messen und vergleichen. Kennziffern sind Indikatorenrechnungen aus der Betriebswirtschaft. Sie sollten einst im Ranking bei den Banken (Basel II) eine schnelle Übersicht über Cashflow und Eigenkapitalquote herstellen ohne direkt in die Zahlen einsteigen zu müssen.
In der Jugendhilfe erreicht man neben der Kontrolle über die Zielerreichung eine schnelle Vergleichbarkeit von Projekten – und zwar Hamburg weit. So können im dann folgenden Schritt einzelne Projekte in Konkurrenz zu einander gebracht werden und Träger (wenn sie auf die Sicherung der Arbeitsplätze angewiesen sind) weiter zum Preisdumping antreiben.
Diese Form der Ökonomisierung kehrt u.E. den Inhalten der Jugendhilfe vollständig den Rücken zu. Hier treten nur noch die Entlastungsmerkmale oder –größen für die einzelnen Kommunen in den Blick.
Letztlich und einziges Eindämmungskriterium ist die Angst bzw. Sorge, dass es zu „Störfällen“ mit medialer Brisanz kommen kann. Mit dem Wissen darum, dass jedem Einzelfall ein individueller Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung, mit eigener Hilfeplanleistung und Umsetzung zugrunde liegt, trauen sich die ASDs noch nicht vollständig von den Einzelverfügungen abzusehen.
Hat man aber erst einmal dafür gesorgt, dass der Hilfesuchende keinen Antrag auf Hilfen zur Erziehung stellt und man ihn vorab in ein Projekt vermittelt, dann wird auch kein Rechtsanspruch gebeugt. Weiß der „Klient“ oder dann wahrscheinlich doch eher „Kunde“ nicht um die Möglichkeit einer Antragstellung, wird er sich auf die ihm zur Verfügung gestellten Leistung einrichten – egal ob auskömmlich oder nicht!
Die Strategie folgte dem Markt:
„Die Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung sind in den letzten drei Jahren um 700% gestiegen….“, so wird immer wieder fälschlich behauptet! Festzuhalten ist, dass es den Bedarf in der Bevölkerung immer schon gab und dieser eigentlich noch weit höher ist. Gründe dafür sind:
· Negative wirtschaftliche Entwicklung und damit einhergehende zunehmende familiäre Probleme.
· Zunehmende Trennungs- und Scheidungsproblematik.
· Abnahme von allgemeiner Erziehungskompetenz in jungen Familien
· Einführung des § 8a in das SGB VIII, dadurch ist eine gewollte „Kultur des Hinsehens“ institutionell
z.B. in Kindertageseinrichtungen verankert worden
· Abbau von Leistungen bei anderen Trägern (z.B. Mutter-Kind-Kuren)
· Ungenügende ambulante (kinder- und jugend-) psychiatrische Versorgung bei steigenden Diagnosen
psychischer und psychiatrischer Erkrankungen.
· Die Kooperation mit Schule ist einerseits hochpräventiv, führt aber auch zum Aufdecken
zusätzlichen Hilfebedarfs.
„Das kommunale Jugendamt fungiert als behördliches Organ einer sozialstaatlichen Gewährleistungsverpflichtung. Es garantiert das Recht des jungen Menschen auf Erziehung durch ein flächendeckendes Angebot an präventiven Erziehungsleistungen, die Kontrolle der funktionalen Ausübung der elterlichen Erziehungsgewalt und eine kommunale Infrastrukturpolitik, die die sozialisatorischen Bedürfnisse von jungen Menschen berücksichtigt. Grundlage für diese Funktionalität ist u.a. die strikte sozialpädagogische Ausrichtung.“[2]
Immer deutlicher wird die Brisanz des bundesrechtlichen Anspruches in der hoheitlichen Ausführungskompetenz des Landes. Die Bundesregierung tritt mit den sog. Errungenschaften im innereuropäischen Vergleich an und führt dieses als Qualitätssiegel. Die Länder führen diese Sozialgesetze im Rahmen der Länderausführungsgesetze aus.
Die Haushalte der Länder werden gerne als endlich dargestellt. Dieses ist faktisch falsch. Ein Bundesland kann nicht „pleite“ gehen. Die Brisanz liegt u.E. in dem Ernstnehmen des politischen Willens. So lange für Prestigeobjekte Geld zur Verfügung gestellt wird und gleichzeitig Rechtsansprüche gebeugt werden, so lange muss klar gefolgert werden, dass die Bürger einer Bewertung und Sortierung unterzogen werden!
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