Wirkungsvolle Jugendhilfe Hamburg

Montag, 25. Juni 2012

" Träger verklagt Stadt" Artikel aus der TAZ vom 22.06.2012


Träger verklagt Stadt

Jugendhilfeträger stellt Eilantrag bei Gericht: Senator soll Richtlinie zu Sozialraum-Angeboten zurückziehen.von Kaija Kutter

Traurig: Das reiche Hamburg beschneidet die Unterstützung für bedürftige Kinder.   Bild:  dpa
Der Jugendhilfeträger „Miko“ hat beim Verwaltungsgericht Klage gegen die Umsteuerung in der Jugendhilfe eingereicht. Per Eilantrag fordert er, die entsprechende Globalrichtlinie außer Kraft zu setzen. „Wir sehen Grundsätze des Kinder- und Jugendhilferechts beschädigt“, sagt Geschäftsführer Michael Kolle. Seit die Sozialbehörde die Jugendämter angewiesen habe, Familien vorrangig an Sozialräumliche Hilfen und Angebote (SHA) zu verweisen, bekämen viele nicht mehr die Unterstützung, die sie brauchen.

„Miko“ ist ein Träger, der unter anderem Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) anbietet, bei der Familienhelfer Eltern und Kinder im Alltag unterstützen. Mit der Globalrichtlinie hat SPD-Sozialsenator Detlef Scheele verfügt, dass die Bezirke SHA-Projekte aufbauen. Die sollen „verbindliche Hilfen“ als Alternative zu förmlichen Hilfen zur Erziehung (HZE) anbieten und damit Kosten senken. Dafür handelt die Behörde mit den Bezirken Zielzahlen aus. Auch ist die Weiterfinanzierung eines SHA-Angebots daran gekoppelt, ob im Umfeld die HZE-Zahlen sinken.
Diese neue Art der Steuerung sei rechtswidrig, sagt Professor Knut Hinrichs von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), der für „Miko“ ein Gutachten erstellte. Denn die Hilfe müsse bedarfsgerecht sein, Klienten hätten ein Wunsch- und Wahlrecht. Das gebe es nicht mehr, wenn die Verweisung an Sozialraumangebote Vorrang vor den Einzelfallhilfen erhält. 

Unpassende Hilfe


Die Umsteuerung sei bereits in vollem Gange, sagt Kolle. „Klienten, die früher zu uns kamen, wird jetzt gesagt: Gehen sie doch zum Beratungsangebot XY.“ Das sei oft nicht die passende Hilfe und führe zur Verfestigung der Probleme. „Eine Mutter sagte mir: ’Das schaffe ich nicht mit meinen drei Kindern.‘ Ein halbes Jahr später rief sie wieder an, nun sei eines der Kinder aus der Familie genommen worden.“ Der Wegfall ambulanter Hilfen führe zu einem Anstieg bei den Heimunterbringungen. „Das Ganze wird nur teurer“, sagt Kolle.
Kolles Vorgehen gilt als mutig, weil er sich mit den potenziellen Auftraggebern anlegt. Ihm sei, sagt er, am Erhalt des bisherigen Hilfssystems gelegen. Formal nutzt der Träger für die Klage aber einen anderen juristischen Hebel. Das neue Finanzierungs- und Steuerungsmodell sei ein Eingriff in die im Grundgesetz geschützte „Berufsausübungsfreiheit“ und benachteilige die einzelnen, im Wettbewerb stehenden Träger. Das setzt ihn dem Vorwurf aus, er wolle seine Pfründe retten.
„Miko“ sei ein „gewerbliches Unternehmen, das sein Geld mit ambulanten Hilfen zur Erziehung verdient“, schickt Scheeles Sozialbehörde ihrer Stellungnahme voraus. Gegen die Globalrichtlinie sei keine Klage zulässig, weil sie keine Außenwirkung habe und sich ans Bezirksamt richte, sagt Sprecherin Nicole Serocka. Die Erfolgsaussichten lägen bei „Null“.
Das sieht Hinrichs anders. Denn wenn Träger bisher gegen Sozialraumsbudgets klagten – was bereits 2004 in Hamburg der Fall war – bekamen sie Recht. Hinrichs: „In der Verwaltungsrechtssprechung ist das durchjudiziert.“ Die Entscheidungen dauerten bis zu ein Jahr.


Sonntag, 3. Juni 2012

Bündnis Kinder- und Jugendhilfe für Professionalität und Parteilichkeit / Stellungnahme zur Ministerkonferenz in Hannover am 31.05.2012

Wir sind ein Bündnis, das sich aus Fachkräften von der Basis der bundesdeutschen Kinder- und Jugendhilfe, Vertretern aus Forschung und Lehre, von verschiedenen Initiativen, Berufsverbänden und Gewerkschaften zusammensetzt. Uns eint der Wille, den fachpolitischen Diskurs und die fachliche Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe als eine selbstverständliche Aufgabe unserer Profession zu verstehen und umzusetzen.
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass auch wir diese Aufgabe offenbar zu sehr vernachlässigt haben, sodass folgende Problemkonstellation eingetreten ist:

Andere Interessengruppen, wie Verwaltungsfachwirte, Kommunal- und Landespolitiker, sowie Ökonomen und speziell Betriebswirtschaftler haben die Profession der Sozialen Arbeit übergangen und im Zuge der neoliberalen Umsteuerung von Staat und Gesellschaft nach und nach die Gestaltungsinitiative in der Kinder- und Jugendhilfe übernommen. Sie haben Konzepte und Strategien aus ihren jeweiligen Bereichen hineingetragen, die weder der Ethik unseres Fachbereiches, noch für dessen nachhaltige Entwicklung dienlich waren. Weder die bisherigen Ergebnisse dieser fremdbestimmten Kinder- und Jugendhilfepolitik, noch die bestehenden Umsteuerungspläne (exemplarisch sei hier das Modell der sog. „verlässlichen Jugendhilfe“ in Hamburg genannt) tragen zu einer substantiellen Hilfe und Unterstützung für Kinder und Jugendliche und ihre Familien bei. Im Gegenteil laufen Eltern und Kinder Gefahr, ihre Rechtsansprüche auf fachliche Hilfe in einer problematischen Situation, wenn überhaupt, dann nur noch bedingt und unter erheblichen Erschwernissen in Anspruch nehmen zu können. Was ihnen bleibt, ist ein ausgedünntes und nicht mehr am Individuum orientiertes Hilfeangebot, das oft genug nicht einmal kurzfristige Hilfe bietet, ganz sicher aber nicht zu einem tiefgreifenden Anstoß eines positiven Entwicklungsprozesses beiträgt.

Insbesondere wird nach diesem Konzept eine notwendige Hilfe zur Erziehung verweigert, indem hierfür andere Bereiche der Jugendhilfe herangezogen werden, die dafür nicht geeignet sind, weil sie andere Aufgabenschwerpunkte verfolgen. Das ist ein klarer Rechtsbruch, denn nach dem SGBVIII besteht ein individueller Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung „… wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist … „.
Das ist aus unserer Sicht unverantwortlich und inakzeptabel. Darüber hinaus erscheint diese Vorgehensweise uns auch volkswirtschaftlich nicht sinnvoll, da die mittel- und langfristigen Kosten einer derart kurzsichtigen Jugendhilfepolitik erheblich sein werden.

Die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe stehen in der Praxis aufgrund dieser Fehlpolitik immer öfter vor unlösbaren Aufgaben und Arbeitssituationen. Sie müssen vor dem Hintergrund komplexer werdender Problemlagen junger Menschen und ihrer Familien den daraus resultierenden hohen und wachsenden Bedarfen mit knappen personellen Ressourcen begegnen. Dabei findet unter den zunehmenden ökonomischen Zwängen und eines marktorientierten Wettbewerbs das Fachkräftegebot immer weniger Beachtung. Auch die Arbeitsverträge werden nur noch selten so gestaltet, dass sie den fachlichen Erfordernissen einer an Kontinuität und Verlässlichkeit orientierten Beziehungsarbeit gerecht werden können. Eine solche Jugendhilfe folgt in ihrer Planung, Umsetzung und Evaluation allein Aspekten der Kontrolle und der ökonomischen Wirkungsorientierung. Diese lehnen wir entschieden ab.
Unser Bündnis fordert deshalb die Politik in Bund, Ländern und Kommunen auf, sich im Hinblick auf die Weiterentwicklung wieder auf die Fachexpertise derjenigen auszurichten, die diese Arbeit professionell konzeptionieren, gestalten, evaluieren und in Forschung und Lehre wissenschaftlich fortentwickeln.

Unser Bündnis setzt sich für eine Kinder- und Jugendhilfe ein, die:

  • auf dem Grundprinzip der kontinuierlichen Beziehungsarbeit basiert,

  • sich am Subjekt orientiert, dialogisch und partizipativ ausgerichtet ist, dem Credo der „Hilfe zur Selbsthilfe“ und, wo Eltern mit ihren Kindern in Krisen an den Rand ihrer Möglichkeiten geraten, einer „Hilfe zur Selbstkontrolle“ (Biesel, 2011) folgt,

  • konsequent an der Umsetzung des geltenden SGB VIII orientiert ist,

  • eine verlässliche und nachhaltige finanzielle Ausstattung der fachlichen Erfordernisse ermöglicht und garantiert,

  • der Einhaltung des Fachkräftegebotes folgt,


  • den Kinderschutz in dem o.g. Sinne definiert, der die Eltern in ihrer Verantwortung belässt und sie zur Umsetzung dieses Schutzes befähigt,

  • gemeinsam mit den Eltern den jungen Menschen als ein Individuum auf seinem Weg zu einer selbstbewussten und selbstverantwortlichen Persönlichkeit unterstützt und begleitet. Damit die Kinder- und Jugendhilfe das leisten kann, muss sie als Gegenüber in ihrem Selbstverständnis und in ihrer strukturellen Ausgestaltung von diesem Geist getragen sein.

Eine solche Kinder- und Jugendhilfe ist nicht zum Nulltarif zu haben. Politik und Gesellschaft, aber auch die Jugendhilfe selbst, sollte sich wieder ihres Wertes und ihrer Bedeutung bewusst werden. Wir erwarten, dass Sie die Professionalität der Berufsgruppe der Sozialarbeitenden in Ihre Debatten einbeziehen.