Koordinierungssitzung der A-Staatssekretäre am 13.05.2011 in Berlin
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Wiedergewinnung kommunalpolitischer Handlungsfähigkeit zur Ausgestaltung von Jugendhilfeleistungen.
- Änderung des Kinder-und Jugendhilferechts( SGB VIII ) -
2. Problembeschreibung
Die rechtliche Ausgestaltung des Leistungsspektrums der Hilfen zur Erziehung( HzE ) im SGB VIII (§ 27 ff) hat in Deutschlands Kommunen zu einem seit Jahren anhaltenden Anstieg der Ausgaben und Fallzahlen im Bereich der Hilfen zur Erziehung geführt.
Im Jahr 2010 wurden ca. 7 Milliarden für Hilfen zur Erziehung ausgegeben, ca. 810.000 Kinder und Jugendliche erhielten direkt oder indirekt (im Familienverbund) eine entsprechende Hilfe.
Die Ausgestaltung des Hilfeangebots als individueller Rechtsanspruch und die starke Stellung freier Träger bei der Ausgestaltung des Hilfeangebots macht dieses System immer teurer.
Gleichzeitig ist festzustellen, dass die zusätzlichen Mittel nicht in entsprechenden Umfang zu einer Verbesserung der Situation von förderungsbedürftigen und Bildungsbenachteiligung betroffenen Kindern und Jugendlichen geführt hat. Vielmehr ist ein kaum noch zu steuerndes Angebot unterschiedlicher Einzelhilfen zu beobachten, die nur im Ausnahmefall, mit den Regeleinrichtungen der Frühen Hilfen, der Kindertagesbetreuung oder den Schulen verbunden sind.
Zugleich gibt es zahlreiche fachliche Hinweise, dass die Angebotsform, die im Regelfall dazu führt, dass Familien zu Hause durch sozialpädagogische Fachkräfte eines freien Trägers aufgesucht werden, um deren Erziehungsfähigkeit zu stärken, in sehr vielen Fällen ins Leere läuft.
Die örtlich vorhandenen Kenntnisse über sozialräumliche Alternativen, die wirksamer und kostengünstiger sind, können in vielen Kommunen nicht bedarfsgerecht ausgebaut werden oder unterliegen sogar Konsolidierungszwängen, weil sie als freiwillige Leistungen finanzpolitisch nachrangig gegenüber den gesetzlichen Leistungen der Hilfen zur Erziehung rangieren.
Durch eine Änderung der Rechtsgrundlagen im SGB VIII soll erreicht werden, eine kommunalpolitische Handlungsfähigkeit für die Ausgestaltung von Jugendhilfeleistungen zurück zu gewinnen.
Durch eine Umgestaltung des Jugendhilfeangebots, insbesondere in Verbindung mit Regelangeboten der Frühen Hilfen, der Kindertagesbetreuung und der Schulen, soll vor allem sozialer Ausgrenzung und Bildungsbenachteiligung entgegengewirkt werden.
3. Zielrichtung einer Gesetzesänderung
Ein Lösungsweg könnte darin bestehen, den Rechtsanspruch vorrangig durch eine Gewährleistungsverpflichtung des öffentlichen Jugendhilfeträgers zu erbringen, der dadurch verpflichtet wäre, ein bedarfsgerechtes Angebot zur Hilfe und Unterstützung bei Erziehungsproblemen mit dem Ziel des Ausgleich sozialer Benachteiligung vorzuhalten.
Diese Gewährleistungsverpflichtung sollte zugleich auch mit dem Hinwirken auf der Anbindung von Angeboten an Regelinstitutionen als zentrale Zielvorgabe und rechtliches Vorrangprinzip mit einer Pflichtversorgung verbunden werden. Der Rechtsanspruch würde damit durch ein verpflichtendes infrastrukturelles Angebot erfüllt werden.
Diese Regelung hätte den Vorteil, dass die Kommunen in der Lage wären, bedarfsgerechte sozialräumliche Angebote zu entwickeln, die individuelle Einzelhilfe als Angebotsform von der Regel zur Ausnahme zu machen und die Anbindung an Regelinstitutionen zielgerichtet betreiben zu können.
Mit dieser Neuorientierung würde sich zugleich die Chance erhöhen, Eltern aus isolierten Lebenslagen herauszuholen und zu befähigen den Verbleib ihrer Kinder in den Regelinstitutionen zu unterstützen.
Darüber hinaus würde es sich anbieten, die Ausgestaltung eines entsprechenden Angebotes mit der Sozial- und Jugendhilfeplanung der Kommune und der Schulentwicklungsplanung zu verbinden. Mit dieser rechtlichen Erweiterung wäre zudem eine rechtliche Grundlage gegeben, die es auch ermöglicht in belasteten Stadtteilen sozialräumliche Versorgungsverträge mit Trägern abzuschließen, die nach der gegenwärtigen rechtlichen Ausgestaltung durch höchstrichterliche Rechtsprechung nicht zulässig ist weil im SGB VIII keine entsprechende Rechtsnorm besteht.
Die Rechtsgrundlagen könnten zudem auch im Bereich der Heimerziehung hinaus so verändert werden, dass eine vorübergehende Unterbringung von Kindern außerhalb der Herkunftsfamilie regelhaft mit der Prüfung der Rückkehroption verbunden ist oder bei auf Dauer ausgerichteten Angeboten die Unterbringung in familienähnlichen Betreuungs-Settings mit teilprofessionalisierten Pflegefamilien geschehen soll.
Der starke Anstieg der stationären Erziehungshilfen (Heimunterbringung, als teuerste Angebotsform) könnte damit ebenfalls schrittweise durch kostengünstigere und fachlich sinnvollere Lösungen ersetzt werden. Zugleich würde mit einer solchen Umgestaltung für die Kommunen die Handlungsoption erhöht werden, insbesondere als neuer leistungsfähiger Kooperationspartner das Schulsystem so zu unterstützen bzw. in die verbindliche Versorgung mit einzubeziehen, dass bei Verhaltensauffälligkeiten und Erziehungsproblemen von Kindern und Jugendlichen nicht auszugrenzen, sondern integrativ zu beschulen und somit einen Verbleib im Regelsystem mit allen damit verbundenen positiven Folgen (u.a. auch im Hinblick auf Ausbildungs- und Berufsperspektiven und Kriminalitätsprävention) abzusichern.
Damit würden zugleich auch die strukturellen Voraussetzungen verbessert werden, um in den Kommunen die Anforderungen der UN-Behindertenkonvention (Inklusion) in Kooperation zwischen Schule, Eingliederungshilfe und Jugendhilfe umsetzen zu können.
4. Verfahrensvorschlag
Die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin haben die Thematik bereits in mehreren gemeinsamen Workshops erörtert und eine gemeinsame Handlungsstrategie verabredet. Ferner wurde das Thema in einem ersten gemeinsamen Workshop mit Vertretern des Sozial- und Jugendausschusses des Städtetages beraten und ein weiteres gemeinsames Vorgehen verabredet.
Daher wird vorgeschlagen auch auf Länderebene eine Arbeitsgruppe der A-Länder unter Federführung von Hamburg einzurichten , die den Auftrag hat, bis zum Herbsttreffen der A-Staatssekretäre einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten.
Gegenstand des Arbeitauftrags:
- Exemplarische Auflistung und Bewertung vorhandener Ansätze entsprechender sozialräumlicher Handlungsstrategien in Kommunen
- Überprüfung alternativer Finanzierungsmodelle zur Fachleistungs-
Stunde bei ambulanten Hilfen
- Exemplarische Auflistung und Bewertung erfolgreicher Kooperations-
Projekte zwischen Schule und Jugendhilfe
- Auflistung und Bewertung erfolgreicher kommunaler Modelle zur Ver-
meidung von Heimerziehung
- Eckpunkte für eine Gesetzesnovellierung
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